|
SG Wattenscheid 09 |
01.08.2003, Lohrheidestadion, Regionalliga Nord |
Zum Saisonstart der Regionalliga Nord stellt sich der Vorjahresabsteiger vom FC St. Pauli beim Fast-Aufsteiger SG Wattenscheid 09 vor.
Die Wattenscheider sind in der Rückrunde der letzten Spielzeit wohl hauptsächlich an sich selbst gescheitert, als man vor allem zu Hause gegen Gegner patzte, die nicht unbedingt zur Elite der Liga gehören. Das soll jetzt anders werden, beim SGW geht man mit breiter Brust in die Saison und ist wild entschlossen, es diesmal besser zu machen und zur Saison 2004/2005 in die zweite Liga zurückzukehren. Das Wort Aufstieg nimmt im Hause St. Pauli keiner in den Mund. Nach dem sportlichen Abstieg folgte bei den Hamburgern der finanzielle Kollaps - Buchprüfer hatten festgestellt, daß die Zahlen des ehemaligen Vorstandes geschönt waren und man tatsächlich mit 2 Millionen Euro in der Kreide stand. In einer wohl im deutschen - wenn nicht im Weltfußball - beispiellosen Kampagne konnte man das Geld am Ende locker machen, wobei der Verkauf von Weltpokalsiegerbesieger-Retter-T-Shirts - seit dem Christopher Street Day nicht nur in braun und schwarz, sondern auch noch in rosa erhältlich - und das Freundschaftsspiel gegen den FC Bayern nur die Spitze des Eisbergs waren, der sich aus dem Meer des Nachrichteneinerleis so weit erhob, daß er über Insiderkreise hinaus gesehen werden konnte. Wie stark aber ist das neuformierte Team? Wird man um den Klassenerhalt bangen müssen, kann man im sicheren Mittelfeld abschließen oder - ein Funke Hoffnung bleibt immer - sind die Kicker vielleicht doch in der Lage, ans Tor zur zweiten Liga zu klopfen, es gar aufzustoßen?
Auf derartige Fragen soll es heute eine erste Antwort geben - eine andere Frage, die nach der Attraktivität der
Partie, findet ihre Antwort schon vor der Partie, als das Spiel 15 Minuten verspätet angepfiffen werden muß, damit nicht allzuviele Zuschauer etwas davon verpassen. Die Heimmannschaft übernimmt sofort ihrer Aufstiegsfavoritenrolle entsprechend die Initiative und versucht, St. Pauli unter Druck zu setzen. Besonders in den ersten 30 Minuten gelingt das sehr gut und den Kiezkickern muß mehrmals das Glück zur Seite stehen, um einen Rückstand zu vermeiden, obwohl sie mit kompakter und geschickter Abwehrarbeit das Ihre zum Verhindern des Gegentors beitragen. Kurz vor der Pause scheint die Gäste dann doch noch das Schicksal zu ereilen, als es zu einem umstrittenen Elfmeter für Wattenscheid kommt, bei dem freilich St.-Pauli-Schlußmann Hollerieth an der Strafraumgrenze sehr ungeschickt eingestiegen ist. Statt des Führungstreffers für die Hausherren bringt der Strafstoß aber nur einen Pfostenschuß und wird wo wohl eher zu einer Motivationsspritze für die Kiezkicker. Der zweite Abschnitt läuft ähnlich wie der erste, aber die Angriffe der SG wirken jetzt doch zunehmend orientierungslos, so daß alles auf ein torloses Remis hinauszulaufen scheint. In der 82. Minute scheint das Schicksal doch noch das SGW-Trikot übergestreift zu haben, als der inzwischen sicherlich nicht mehr erwartete Führungstreffer für die Hausherren fällt - irgendwie bugsiert Markus Katrioniok das Leder aus dem Gewühl ins Gehäuse der Gäste. Damit scheint die Entscheidung gefallen, kann man doch die bisherigen Chancen der Gäste an den Fingern einer Hand abzählen. Jetzt aber beweisen die Spieler des heute ganz in Schwarz angetretenen FC Moral und gönnen sich keine Schocksekunde, sondern versuchen vielmehr nach vorne noch mal etwas möglich zu machen. Damit rühren sie wohl auch Schicksalsgöttin Fortuna an - denn nach einem Warnschuß in der 85. Minute kommt es in der Nachspielzeit nach einem Angriff über den rechten Flügel tatsächlich noch zum Ausgleichstreffer für den FC, so daß es zu einem Endstand kommt, der für die Gäste sicherlich recht glücklich ist, letztendlich aber gerade aufgrund des Aufbäumens in der Schlußphase auch nicht unverdient.
Anstoßverzögerungen wegen des Zuschauerandrangs sind in Wattenscheid sicherlich nicht unbedingt der
Regelfall und auch die 4600 Zuschauer - dies die eher noch untertrieben scheinende offizielle Angabe - finden nicht alle Tage den Weg zur Lohrheide. Mindestens die Hälfte der Leute im Stadion, wenn nicht etwas mehr, gehören dann allerdings auch den Gästefans an, denen heute neben den beiden üblichen Gästeblöcken in der Lohrheide noch der gesamte Platz bis zur Haupttribüne zugestanden wird, und auch auf der Haupttribüne hat sich ein ansehnliches Grüppchen von Supportern der Hamburger eingefunden. Beide Seiten präsentieren zum Intro zahlreiche Schwenkfahnen, während die St. Paulianer die Guten am Ende noch mal hervorkramen, um ihre Spieler zu verabschieden, während man auf Wattenscheider Seite - ob des späten Ausgleichs frustriert - eher zügig das Feld räumt. Das Verhältnis zwischen den Fangruppen ist insgesamt eher gut, auch wenn ein paar Wattenscheider ein "HSV + SGW"-Transparent vor die Haupttribüne gehängt haben, das irgendwie sinnlos erscheint oder hat es wirklich mal eine Frendschaft zwischen diesen Fangruppen gegeben? Diese kleine Provokation kann die St. Pauli Fans jedenfalls nicht davon abhalten, vor und nach dem Spiel zusammen mit den Wattenscheider den Gassenhauer "SG Wattenscheid Null-Neun / Schwarz und Weiß, das sind die Farben, bei uns hier im Revier!" zu schmettern, den man mutmaßlich im Lohrheidestadion auch noch nicht aus so vielen Kehlen gehört hat. Während der Partie liefern vor allem die Gästefans einen recht guten Support ab - soweit die weitläufige Anlage an der Lohrheide - für eine Deutsche Meisterschaft der Leichathletik wurde ja die Tartanbahn ganz gegen den Trend der reinen Fußballstadien vor ein paar Jahren sogar verbreitert - überhaupt so etwas gestattet.
Vor allem in Form von Transparenten gibt es hier auf Seiten der Gästefans aber durchaus auch Kritisches zu
verlautbaren: Neben einem eher allgemein gehaltenen "Keine Stimmung ohne Ultras" heißt es dann "Wer rettet jetzt unsere Fankultur?", "Gegen Beust, Seeler, McDonalds & Kommerzterror - Für ein Fünkchen Selbstachtung", "1 kg Kult = 1,99?" oder kurz und prägnant "FC Mainstream von 1910?!?". An anderer Stelle würde eine Rettungsaktion wie die zurückliegende wohl zu ungeteiltem Jubel und gemeinsamen Schweben auf Wolke 7 führen, aber St. Pauli wäre nicht St. Pauli und auch die Fanszene der Kiezkicker wäre eine andere, würde man nicht auch das Überleben des eigenen Clubs mit kritischen Augen sehen. So wird hier nur eine an anderer Stelle schon lange geführte Diskussion fortgeführt, in der es um Ausverkauf des Mythos St. Pauli allgemein (nach dem Motto "Wer kauft Hunderttausende Retter-T-Shirts?", die Wahl der helfenden Hände, die ergriffen wurde (Dauerkartenverkaufsaktion durch OB von Beust, Hilferede von Uwe Seeler, Retter-T-Shirt-Verkauf bei Mc Donalds) und letztendlich um die Frage, ob man nicht lieber reinen Gewissens in der Oberliga hätte antreten sollen. So ganz kann man ja nicht umhin, in dieser Diskussion eine Luxusveranstaltung zu sehen, über die Fans anderer Traditionsvereine, denen ähnliche Unterstützung nicht gewährt wurde, wohl nur die Köpfe schütteln können. Erwähnt sei hier nur stellvertrenden der SV Waldhof Mannheim, der sang- und klanglos in der Oberliga landete, weil ein Fünftel der Summe fehlte, die man am Millerntor innerhalb von zwei Monaten hatte locker machen können.
Da der letzte Besuch von groundhopping.de an der Lohrheide erst gute zwei Wochen zurückliegt, sei anstelle eines neuen Beschreibungsversuch der Anlage auf die dortige Stadionbeschreibung Lohrheide verwiesen.
Zu dem HSV+SGW-Transparent erhielten wir folgende E-Mail: "(Ich) kann Dir (...) verraten, dass es sich um 3-5 Hamburger handelt, die allesamt Sympathisanten von 09 sind und auch desöfteren in die Lohrheide kommen. Allen voran sind sie aber treue Anhänger des HSV (die Fahne hängt fast immer hinter dem Tor)." und von anderer Seite "Die Fahne HSV+SGW wird von einer Person aufgehängt, die sowohl Wattenscheid als auch HSV supportet. Also keine Fanfreundschaft und auch keine Provokation der Wattenscheider... - strittig scheint also nur zu sein, ob es sich um eine kleine Gruppe oder eine Einzelperson handelt, auf jeden Fall scheint das Transparent durchaus nicht zur Provokation aufgehängt worden zu sein."
|